Programmtext
“…beredtes Schweigen” für Ensemble entstand in der Auseinandersetzung mit dem Werk des Schriftstellers Edmond Jabès. Zu der Zeit, als ich an dieser Komposition arbeitete, las ich mehrere Texte Jabès’, die mich sehr beeindruckten. Mich faszinierte das Kryptische und Hermetische an seinen Texten, die aber zugleich eine seltene und seltsame Offenheit haben. Das Fragmentarische bringt eine offene Form mit sich, die gewissermaßen einen Projektcharakter hat. Das Buch ist nicht in sich geschlossen, es trägt eine Vielzahl von Positionen und Möglichkeiten in sich, die sich auch oftmals widersprechen. Interessant fand ich auch die Konzeption von Wort und Schweigen, von Anwesenheit und Abwesenheit.
“…denn nie bin ich in der Gegenwart. Wir begegnen uns immer in der Abwesenheit. Wenn Sie von sich selbst sprechen, sprechen Sie von einem Abwesenden. Sie werden ihm nie die ganze Wirklichkeit leihen können, die Sie wollen. Und so auch die Wörter: Immer sind sie im Kampf mit der Abwesenheit des Wortes, mit dem, was sie nicht sagen können. Es ist die Abwesenheit, die den Wörtern Hör- und Sichtbarkeit verleiht, die großen weißen Zwischenräume des Schweigens zwischen den Wörtern, ohne welche die Wörter unsichtbar wären.” (Edmond Jabès: Die Schrift der Wüste, Merve Verlag Berlin 1989, S. 22 – Interview mit Enrico Filippini)
Meine kompositorische Beschäftigung war dann tatsächlich eine Auseinander-setzung, das heißt, dass mein Stück in keinem Fall als musikalisches Äquivalent oder Vertonung zu verstehen ist. Es handelt sich vielmehr um eine, sich auf Jabès beziehende, gegenläufige Position. Einen Kontrapunkt, der aber wiederum nicht bewusst gesetzt ist, sondern sich im Versuch einer Annäherung quasi zufällig ergibt. Die Musik spricht, um das – dahinter stehende – große Schweigen zu verdecken.
Jabès wurde 1912 in Kairo geboren. 1957 musste er als Jude Ägypten verlassen (während der Suezkrise) und emigrierte nach Paris, wo er bis zu seinem Tod 1991 lebte und arbeitete.