„dropped.drowned“ (2017) for large orchestra
[3.3.3.3 – 4.3.3.1 – hrp – pno – 3 perc – min. 10.8.6.5.3 – tape]
WP: 22.9.2017 Staatstheater Cottbus – Philharmonic Orchestra, Evan Christ
weitere Aufführungen:
8.7.2018 – opening concert Darmstadt Summer Course – HR Sinfonieorchester, Baldur Brönnimann
15.1.2020 – opening concertFestival Ultraschall Berlin, DSO (Deutsches Sinfonieorchester Berlin), Marc Albrecht
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program notes by Sarah Nemtsov
„People dread silence because it is transparent; like clear water, which reveals every obstacle – the used, the dead, the drowned, silence reveals the cast-off words and thoughts dropped in to obscure its clear stream. And when people stare too close to silence they sometimes face their own reflections, their magnified shadows in the depths, and that frightens them. I know; I know. “ [Janet Frame – Scented Gardens for the Blind]
Im Sommer 2017 sollte ich meiner Mutter, die Malerin war, dabei helfen, Farben für ein neues Bild auf die Palette zu bringen. Ich kramte in ihren Kisten mit Tuben, holte Ölfarben hervor. „Nein, nicht diese Farbe, nein – für dieses Bild nur Grüntöne, Schwarz und etwas Braun, Van Dyke Braun, Ocker, ja und ganz viel Weiß, Titanweiß.“ Als ich über die Besetzung für das neue Orchesterstück nachdachte, hatte ich so ein Gefühl: Nein, keine Oboen und keine Trompeten. Kein Gold-Gelb (dabei bin ich keine Synästhetikerin!). Ich wollte der Hierarchie überhaupt etwas entgegenwirken. Wenn nicht als Soloinstrument, ist das Klavier im Orchester oft nur eine Farbe am Rande, ich selbst empfinde es oft als Fremdkörper. In meinem Stück rückt es in den Mittelpunkt (ohne Solist zu sein), wie auch die Harfe, verstärkt und leicht präpariert. Ausgehend von Harfe und Klavier entwickeln sich Texturen im Orchester. Die Streicher sind zum Teil verknüpft mit Perkussion, in gegenseitigen Spiegelungen, Bläser als Schatten dahinter.
Es gibt fast keine wirkliche Stille in dem Stück (vielleicht fürchte ich sie selbst sogar – allgemein bin ich oft mehr an dichten Texturen, polyphonen Strukturen interessiert) (die wirkliche Stille kann selbst in der Wüste ein Zufall sein – eine Drehung des Kopfes und der Wind ist nicht mehr zu hören). Es gibt aber Fenster: senza misura Momente, in denen ein anderer Raum aufgemacht wird. Plötzlich tauchen die verschmähten Farben auf: 3 Oboen und 3 Trompeten, die ein paar Einwürfe von woanders bringen, Akkorde, gedoppelt mit Zuspiel, gedämpft, brüchig, eine Lichtänderung oder ein Perspektivwechsel. In meinem Stück geht aber auch darum, einen gewissen „Flow“ zu finden, ein Fließen (und ineinander-fließen), eine dunkle Grundfarbe und einen gemeinsamen Puls. Das Orchester findet diesen Puls und wird zugleich darin gefangen, am Ende gibt es die Befreiung vom Takt – was vorher fest war, wird losgelassen.
Das Loslassen ist eine der schwierigsten Übungen nicht nur in der Kunst.
Elisabeth Naomi Reuter: Ohne Titel, unvollendet (2017)
[Postscriptum – meine Mutter starb wenig später – dies letzte Bild konnte sie nicht vollenden.]