Francoise Kubler, Sopran; Ensemble “Accroche Note”; Luigi Gaggero, Cimbalom; Ltg.: Armand Angster

 

Programmtext

1912 als Jude in Kairo geboren, musste Edmond Jabès 1957 (während der Suezkrise) Ägypten verlassen und emigrierte nach Paris, wo er bis zu seinem Tod 1991 lebte und arbeitete. Seine Schriften (gewissermaßen in der Nachfolge von Mallarmé) stellen im höchsten Sinne Avantgarde dar, er verwendet absolut eigene und neue Formen – wie etwa die Auflösung der Erzählstruktur etc. – gleichzeitig bewahren seine Texte eine Anschaulichkeit, eine spezielle emotionale Dichte und Nähe. Sie sind kryptisch, aber nicht distanziert oder abstrakt, sondern in ihrer Poesie zutiefst menschlich. Das Buch der Fragen spricht von der großen Tragödie des letzten Jahrhunderts. Es sagt jedoch nichts Plakativ-Historisierendes, sondern erzählt im Verborgenen. Es handelt von Abwesenheit und Trauer, von dem Verlust von etwas Unwiederbringlichem. Sarah und Yukel sind getrennt, vielleicht ist Sarah tot; mehr und mehr wird aber deutlich, dass sie aufgrund der schweren Erlebnisse verrückt geworden ist. Es gibt einen Erzähler, er scheint manchmal dem Autoren nahe zu stehen, manchmal gleich (aber nicht zeitgleich – eventuell als Verweis auf Hölderlins Hyperion) mit Yukel zu sein. Die Struktur des Textes erinnert an Talmud-Traktate, immer wieder erscheint ein Chor imaginärer Rabbiner mit Kommentaren, die sich oft auch widersprechen. Das Kontinuum ist aufgehoben. Durch diese Offenheit und Zweideutigkeit verschiebt sich der Sinn gewissermaßen permanent. Es wird keine eindeutige Aussage, kein Fazit angestrebt. Der Text kann und soll vielmehr immer neu gelesen werden, das Buch gibt Raum dem Leser, der “eintritt” (“Puis-je entrer?”).
“Quand l’ombre, peu à peu, se teinte de rose, c’est moi, Sarah, qui guette déjà ta venue; quand, de rose, elle devient rouge et jaune, c’est moi, Sarah, qui t’appelle en vain; quand le monde est enfin blanc comme la flamme entre les cils, c’est moi, Sarah, qui te cherche dans la foule anonyme et jaccassante; quand l’obscurité s’abat, à nouveau, sur le monde, c’est moi, Sarah, qui me perds en toi.”
Edmond Jabès, Le Livre des Questions, p. 158, © Éditions Gallimard
(“Wenn der Schatten, nach und nach, ins Rosenfarbene übergeht, bin ich es, Sarah, was schon nach deiner Ankunft späht; wenn von der Rosenfarbe rot und gelb er wird, bin ich es, Sarah, was dich vergeblich ruft; wenn weiß wie Flammen zwischen Wimpern endlich nun die Welt, bin ich es, Sarah, was dich sucht in jener namenlosen, lauten Masse; und wenn von neuem Dunkelheit sich senkt, bin ich es, Sarah, was in dir sich ganz verliert.”)
(Edmond Jabès, Das Buch der Fragen, S. 143, Übers. von H. Beese, © Suhrkamp Verlag)

Meiner Komposition für Sopran, Gläser, Flöte, Violine, Cello, Kontrabass, Perkussion, Akkordeon und Zimbalum liegt ein Absatz aus dem Abschnitt Buch der Abwesenden (Le livre de l’absent) innerhalb des Livre des Questions zugrunde: Worte von Yukel – ist es wirklich Yukel? – an Sarah. Gerade die Uneindeutigkeit, die Spannung zwischen Hoffnung und Illusion hat mich fasziniert und interessiert. Schatten und Zwielicht als Möglichkeit für Phantasien – und andererseits das Licht, das die Abwesenheit, das Fehlen offenlegt. Das Prinzip “Lücke” ist auch strukturell für meine Komposition wirksam geworden. Letztlich ist die Situation der Aufführung an sich irreal, weil Sarah die an sie gerichteten Sätze wie aus einem Brief liest (singt) und gleichermaßen doch abwesend ist.
Die Komposition ist im Auftrag des Festivals “Musica” Strasbourg 2006 entstanden.
Verlag: Edition Nova Vita, Berlin